Wenn das System scheitert – wer trägt Verantwortung?
Wieder einmal steht die Justizanstalt Graz-Karlau im Mittelpunkt eines Skandals. Wieder ist ein Mensch beinahe gestorben – diesmal ein junger Mann, der in staatlicher Obhut war. Und wieder heißt es lapidar, er werde „optimal und engmaschig versorgt“. Doch wer die Realität des österreichischen Strafvollzugs kennt, weiß: Diese Floskeln dienen längst nur noch der Beruhigung der Öffentlichkeit.
Wenn in einer geschlossenen Einrichtung ein Mensch versucht, sich das Leben zu nehmen, ist das kein „bedauerlicher Einzelfall“. Es ist das sichtbare Symptom eines Systems, das sich selbst entmenschlicht hat. Ein System, das Verantwortung abwälzt, statt sie zu übernehmen.
Die Justiz spricht von Fürsorge und Betreuung – gleichzeitig fehlen Psycholog:innen, Ärzt:innen und geschultes Personal. Die Realität ist Überforderung, Desinteresse und ein Klima der Angst. Wer schwach ist, geht unter. Wer Hilfe braucht, bekommt Formulare. Und wer das überlebt, trägt Narben – innen wie außen.
Verantwortung bedeutet, hinzusehen. Verantwortung bedeutet, Konsequenzen zu ziehen. Doch genau das geschieht nicht. Zwischen der Justizanstalt, den Anstaltsärzt:innen, der Vollzugsdirektion und dem Ministerium verschwinden Zuständigkeiten im bürokratischen Nebel. Jeder verweist auf den anderen. Niemand übernimmt.
Wir sprechen hier nicht über Zahlen, sondern über Menschen. Über Menschen, die unter staatlicher Aufsicht leiden, brechen oder sterben. Und über eine Gesellschaft, die das zulässt, solange die Mauern hoch genug sind, um das Leid nicht zu sehen. Doch jeder, der so denkt vergisst, dass diese Personen auch irgendwann mal entlassen werden. Was passiert dann mit ihnen? Was passiert mit deren Wut, die sich in dieser Zeit durch die inadäquate Behandlung aufgestaut hat?
Die Frage, wer Verantwortung trägt, ist daher keine juristische. Sie ist eine moralische. Und solange jene, die Macht und Verantwortung tragen, diese nicht wahrnehmen, bleibt das System selbst der größte Täter.
Inmates Shelter setzt sich für Transparenz, Menschenwürde und psychische Gesundheit im und außerhalb des Strafvollzug ein. Denn niemand verliert sein Recht auf Menschlichkeit – auch nicht hinter Mauern.










