Psychische Verarmung im Strafvollzug und bei Helfern

presse • 12. Dezember 2025

Wie Isolation, fehlende Anerkennung und kleine Gesten der Menschlichkeit das Leben von Gefangenen und Helfern prägen und eine Resozialisierung erschweren.


 

Einleitung: Zwischen Anspruch und Realität

Österreich rühmt sich seines humanen Strafvollzugs. Auf dem Papier stehen Resozialisierung, therapeutische Maßnahmen und professionelle Betreuung. Doch hinter den Mauern vieler Justizanstalten zeigt sich ein anderes Bild: Überlastetes Personal, strukturelle Unterversorgung und fehlende psychologische Ressourcen führen dazu, dass Langzeitgefangene psychisch und emotional massiv belastet werden.

Diese Belastungen hören nicht nach der Entlassung auf. Viele ehemalige Insassen, die in NGOs arbeiten, tragen die Last anderer und erleben dieselbe emotionale Leere erneut – diesmal aus der Perspektive der Helfenden.

 


1: Das Einzelschicksal von T. – 15 Jahre im Strafvollzug


T., ein ehemaliger Strafgefangener, verbrachte 15 Jahre in österreichischen Justizanstalten. Schon zu Beginn seines Vollzugs zeigte sich seine Sensibilität: Rückzug, Schlafstörungen, Sprachlosigkeit. Typische Frühwarnsignale, die im Alltag der Anstalten kaum registriert werden.


„In den ersten Jahren dachte ich oft, niemand sieht mich. Kein Lob, kein Schulterklopfen, kein aufmunterndes Wort – einfach nichts.“


Psychische Nähe fehlte völlig: T. erlebte während seiner gesamten Haftzeit weder aufmunternde Worte noch einfache Gesten menschlicher Anerkennung. Kleine Gesten, die außerhalb des Vollzugs banal erscheinen, waren systematisch ausgeschlossen. Diese fehlende Resonanz summierte sich zu einer tiefen psychischen Verarmung.

Folgen fehlender Nähe:


  • Depressionen
  • Schlafstörungen
  • Rückzug und Isolation
  • Verlust an Selbstwertgefühl
  • Schwierigkeit, soziale Bindungen aufzubauen

 


2: Strukturelle Probleme im österreichischen Strafvollzug


Unterbesetzte psychologische Betreuung

Ein Psychologe betreut in manchen Anstalten 70–100 Insassen. Krisen werden übersehen, Diagnosen oberflächlich, Prävention praktisch unmöglich.


Übermäßige Medikation

Viele Insassen werden durch Schlaf- und Beruhigungsmittel ruhiggestellt, nicht begleitet. T. erlebte jahrelang Polypharmazie, die seine emotionale Abstumpfung verstärkte und seine Fähigkeit, Nähe zu empfinden, beeinträchtigte.

Versteckte Hilferufe


Insassen äußern Not oft indirekt: Rückzug, Aggression, übertriebene Anpassung, Schlafstörungen. Psychische Bedürfnisse wie das Bedürfnis nach Lob, Zuspruch oder einfachen Gesten der Anerkennung werden häufig übersehen.

 


3: Leben nach der Haft – Helfen und wieder Verlieren


Nach der Entlassung begann T., für eine NGO zu arbeiten, die sich um die psychische Gesundheit von Gefangenen kümmert.


  • Er hilft anderen und teilt seine Erfahrung.
  • Er erlebt erneut das Fehlen psychischer Nähe: Anerkennung, aufmunternde Worte, Schulterklopfer, einfache Umarmungen – all das bleibt oft aus.


„Ich kann für andere da sein, aber niemand sieht, wie sehr ich selbst leide.“


Diese fehlenden Gesten führen erneut zu emotionaler Erschöpfung, Rückfällen in depressive Muster und Schuldgefühlen. Helfer wie T. tragen die Last anderer, während ihre eigenen psychischen Bedürfnisse übersehen werden.

 


4: Strukturelle Missstände – warum psychische Nähe oft fehlt


Strukturelle Probleme:


  • Personalmangel: zu wenige Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, Therapeut:innen
  • Überholte Gebäude: laut, eng, wenig Rückzugsmöglichkeiten
  • Medikamenten-Reflex: standardisierte Sedierung statt individueller Betreuung
  • Fehlende Nachsorge: entlassene Personen fallen in Lücken
  • Fehlende Anerkennung: kleine Gesten menschlicher Nähe fehlen systematisch

 


5: Kleine Gesten mit großer Wirkung


  • Schulterklopfer nach einer guten Tat
  • Aufmunternde Worte wie „es wird schon wieder“
  • Lob für Anstrengungen und Fortschritte
  • Einfache Umarmungen oder Gesten der Zugehörigkeit

I

Psychische Folgen des Fehlens menschlicher Nähe:

  • Emotionale Leere
  • Depressive Muster
  • Gefühl, nicht gesehen zu werden
  • Schwierigkeit, Vertrauen zu entwickeln

 


6: Was wirklich helfen würde


Empfehlungen:

  1. Mehr psychologische Betreuung: Verdopplung des Personalschlüssels
  2. Früherkennung von Hilferufen: Schulungen für Personal, klare Kriterien, dokumentierte Reflexion
  3. Entstigmatisierung psychischer Probleme: offen über Ängste und Bedürfnisse sprechen dürfen
  4. Nachsorgeprogramme: verpflichtende Betreuung nach Entlassung, mindestens sechs Monate
  5. Schutz für Helfer:innen: Supervision, psychologische Begleitung, Burnout-Prävention
  6. Psychische Nähe aktiv fördern: Anerkennung, Lob, aufmunternde Worte, Gesten der Zugehörigkeit

 


Schlusswort: Menschlichkeit wieder sichtbar machen


T.s Schicksal zeigt: Psychische Verarmung geht weit über Isolation hinaus. Es sind nicht nur Mauern und Zellen, sondern das Fehlen von Anerkennung, Aufmunterung und menschlicher Nähe, das Menschen nachhaltig prägt.

Zitat-Box Abschluss:


„Jeder Mensch braucht gesehen zu werden – kleine Gesten können Leben retten.“


  • Erkennen Sie die Zeichen versteckter Hilferufe
  • Unterstützen Sie Helfer:innen, die selbst Belastung tragen
  • Fördern Sie psychische Nähe in allen sozialen Strukturen

 

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