Einleitung – Suizid hinter Gittern
Suizid in Haft ist kein neues Phänomen. Und doch ist es eines, das weiterhin zu selten, zu spät oder gar nicht thematisiert wird. Insbesondere in Österreich – einem Land, das auf der einen Seite Wert auf Rechtsstaatlichkeit legt, auf der anderen Seite aber hinter Gefängnismauern oft wegsieht. Der Suizid eines Häftlings ist nie bloß ein tragischer Einzelfall. Er ist ein Warnsignal, ein Symptom eines tieferliegenden strukturellen Problems. Dieser Artikel beleuchtet die Realität der Suizide in österreichischen Justizanstalten aus verschiedenen Blickwinkeln: Historie, Statistik, Ursachen, Prävention – und vor allem: Verantwortung.
Historische Entwicklung – Suizide im Strafvollzug im Wandel der Zeit
Die Problematik von Suiziden in Gefängnissen ist nicht neu. Bereits in den 1950er Jahren wurden Todesfälle in der Haft als besonders tragisch empfunden, oft jedoch als individuelles Scheitern dargestellt. Erst mit der zunehmenden Professionalisierung des Strafvollzugs ab den 1980er Jahren wurde Suizid als systemisches Problem anerkannt. Insbesondere in den 2000er Jahren kam es zu mehreren aufsehenerregenden Fällen, darunter der Tod von U-Haft-Insassen, die nachweislich psychisch instabil waren.
Gesetzliche Anpassungen und Programme wie VISCI ("Vollzugsnahe Interdisziplinäre Suizidprävention in der Justiz") wurden eingeführt, doch deren Umsetzung ist bis heute lückenhaft. Der historische Verlauf zeigt: Immer dann, wenn Medien und Öffentlichkeit Druck ausüben, bewegt sich etwas. Doch strukturelle und dauerhafte Verbesserungen bleiben die Ausnahme.
Aktuelle Lage – Entwicklungen von 2019 bis 2024
Die letzten sechs Jahre zeigen ein aufwärtsgerichtetes Bild in Bezug auf Suizide und Suizidversuche:
- 2019: 4 vollendete Suizide, 9 Versuche
- 2020: 8 Suizide, keine registrierten Versuche
- 2021: 15 Suizide, 32 Versuche
- 2022: 6 Suizide, 42 Versuche
- 2023: 13 Suizide, 33 Versuche
- 2024: 12 Suizide, 48 Versuche (Hochrechnung)
Besonders auffällig: Ein starker Anstieg an Suizidversuchen ab 2021, parallel zu einer erhöhten Zahl an psychischen Krisen bei Häftlingen. Gründe könnten unter anderem in pandemiebedingter Isolation, Personalmangel sowie unzureichendem Zugang zu psychologischer Hilfe liegen.
In diese Zahlen sind „mysteriöse“ Todesfälle nicht mit einberechnet. Unter diesen Todesfällen verstehen wir solche, bei denen nicht restlos geklärt werden konnte, ob ein Suizid vorliegt oder der Tod auf natürliche Art eingetreten ist.
Ursachen und Risikofaktoren – Warum sich Häftlinge das Leben nehmen
Die Ursachen für Suizide im Strafvollzug sind komplex und meist multifaktoriell:
- Psychische Vorerkrankungen wie Depression, Psychosen oder Suchtkrankheiten
- Soziale Isolation , insbesondere in U-Haft oder Einzelhaft
- Fehlende Perspektiven wie lange Strafen oder drohende Abschiebung
- Gewalt und Bedrohung durch Mitinsassen
- Stigmatisierung und Schuldgefühle
Ein psychiatrischer Sachverständiger, der anonym bleiben möchte, sagte: „In österreichischen Haftanstalten sind mindestens 30 bis 40 % der Insassen psychisch behandlungsbedürftig. Viele davon werden nicht einmal diagnostiziert.“
Der Alltag im Gefängnis – Wie Haftbedingungen Suizidalität fördern
Eine überbelegte Justizanstalt wie die JA Wien-Josefstadt ist ein Paradebeispiel für Bedingungen, die Suizidalität begünstigen: 23 Stunden Einschluss, kaum Sozialkontakte, veraltete Infrastruktur, fehlende Therapieplätze. Auch der Mangel an psychiatrischem Personal wird immer wieder angeprangert. Aber die Josefstadt ist nicht das einzige Beispiel. Positive Entwicklungen in den Anstalten haben wir bis dato noch nicht wirklich bemerken können. Die „großen“ Anstalten wie Graz – Karlau und Stein sind hier keine Ausnahmen obwohl dort eigentlich die Voraussetzungen für einen deutlich humaneren Vollzug gegeben wären.
Immer wieder müssen wir von Insassen dieser Anstalten erfahren, dass gerade dort die soziale Isolation enorm ist. Dinge, die für einen Insassen wie der sprichwörtliche Bissen Bort ist, z.B. Besuche, Telefonate, etc., werden von Seiten der Anstaltsleitung massiv behindert. Mehr noch, Vergehen, die gerade aus dieser Situation heraus entstehen, werden mit weiten Sanktionen gegen die Menschenwürde geahndet. So gehört es zu den üblichen Vorgehensweisen in Graz – karlau, dass Insassen als Strafe Besuche oder auch Telefonate verwehrt und gestrichen werden. Ein Umstand, der den psychischen Zustand eines Insassen nicht gerade positiv fördert.
Laut einem anonymen Justizwachebeamten aus der Josefstadt: „Wir haben pro Abteilung 2 Beamte für 80 Leute. Wenn einer sagt, er bringt sich um, müssen wir ihn trotzdem allein lassen. Wir können nicht mehr.“
Suizidprävention in Österreichs Gefängnissen – Maßnahmen, Modelle und Versäumnisse
Programme wie VISCI versuchen, durch interdisziplinäre Zusammenarbeit von Justizwache, Psychiatrie und Sozialarbeit Risikofälle frühzeitig zu erkennen. Doch VISCI ist nicht in allen Anstalten implementiert.
Internationale Vergleiche zeigen: Skandinavische Länder setzen deutlich früher an, etwa durch verstärkten psychologischen Erstkontakt nach der Inhaftierung und niedrigere Belegungsdichten.
Experten wie Dr. H., forensischer Psychiater, fordern: „Wir brauchen keine neuen Konzepte, sondern mehr Personal, das bestehende Programme umsetzt.“
Stimmen aus dem System – Häftlinge, Angehörige, Justizpersonal
Ein Ex-Häftling berichtet: „Ich hab im Haftraum drei Leute sterben sehen. Einer hat sich erhängt, einer hat sich aufgeschlitzt. Der dritte ist einfach nicht mehr aufgewacht. Keiner redet darüber.“
An anderer Ex-Insasse aus Graz - Karlau berichtet von insgesamt acht Suiziden innerhalb seiner 15jährigen Haftstrafe. Suizide, die er selbst mit ansehen musste. Zwei davon direkt in seinem Haftraum.
Ein Vater, dessen Sohn sich 2022 in U-Haft suizidierte, sagt: „Er war psychisch krank. Aber sie haben ihn einfach alleine gelassen. Die Justiz hat ihn getötet.“
Eine Sozialarbeiterin schildert: „Wir rennen jedem Fall hinterher. Es gibt keine Zeit für Gespräche. Wir arbeiten im Krisenmodus.“
Zusammenfassung, Empfehlungen und Ausblick
Zentrale Erkenntnisse:
- Suizide in Haft sind vermeidbar, wenn Risikofaktoren frühzeitig erkannt und adressiert werden.
- Die aktuelle Lage zeigt eine Zunahme an Krisen und Versuchen, besonders seit 2021.
- Es mangelt nicht an Konzepten, sondern an Ressourcen und struktureller Umsetzung.
Empfehlungen:
- Sofortige Aufstockung von psychologischem Fachpersonal in allen Anstalten
- Verpflichtende VISCI-Implementierung in allen Justizanstalten
- Bessere Schulung der Justizwache in Krisenerkennung
- Stärkere Einbindung externer Kontrollinstanzen
- Regelmäßige öffentliche Berichte zu Suiziden und Kriseninterventionen
Fazit
Ein Gefängnis ist kein Krankenhaus, keine Schule, kein Zuhause – aber es muss ein Ort sein, an dem ein Mensch, egal wie tief gefallen, nicht sterben muss, weil niemand hinsieht.
Suizide in Justizanstalten sind vermeidbar. Alles andere ist eine Ausrede. Vielleicht wäre es an der Zeit von althergebrachten Vorgehensweisen im Vollzug sich abzuwenden und einem Beispiel wie in den nordischen Staaten zu folgen. Dort ist die Rate der Suizide deutlich geringer. Gleichzeitig ist aber die Rate der Rückfälle auch wesentlich geringer. Staaten wie Norwegen, Schweden oder Finnland machen es vor. Wir sollten uns daran ein Beispiel nehmen und an aktiv an einer Resozialisierung arbeiten anstatt Insassen sämtliche sozialen kontakte zu beschneiden und sie von der Außenwelt abzuschneiden, sollten wir sie wieder aktiv in die Gesellschaft reintegrieren. Durch die vehemente Weigerung Kommunikationsmittel wie das Internet oder auch Smartphones bzw. Mobiltelefone in Anstalten zu erlauben, werden Insassen sozial isoliert. Dies führt zu psychischen Problemen, Menschen ziehen sich zurück und werden entweder introvertiert oder gewalttätig. Nichts davon hilft dem Strafvollzug und somit einer Resozialisierung.
Zum Schluss möchten wir einen Justizwachebeamten aus Graz – Karlau zitieren. „Das Urteil ist die Strafe, nicht eine Isolation oder Besuchsverbot. Es sind Menschen, wie jeder andere auch und so sollten wir sie auch behandeln. Leider passiert das nur in den wenigsten Fällen“.










