Wie der österreichische Strafvollzug auf Kosten der Menschenwürde funktioniert
Einleitung: Die unsichtbare Fabrik hinter Gefängnismauern
Im Schatten unserer Gesellschaft existiert ein Wirtschaftssystem, das von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, aber dennoch floriert: jenes hinter den Mauern österreichischer Justizanstalten. Dort schuften tausende Gefangene für Löhne, die weit unter jedem arbeitsrechtlichen Mindeststandard liegen. Die Arbeit ist nicht freiwillig, Alternativen gibt es kaum, der rechtliche Rahmen erlaubt Zwang. Wer sich weigert, wird sanktioniert. Während sich öffentlich kaum jemand daran stört, würde man solche Bedingungen in der freien Wirtschaft als Skandal bezeichnen.
Der österreichische Strafvollzug steht in der Kritik: Arbeitszwang, Minimalvergütung, fehlende Sozialversicherung, kaum Ausbildungsperspektiven. Offiziell nennt man es "Beschäftigung zur Resozialisierung". In der Praxis ist es systematische Ausbeutung unter staatlicher Regie. Dieser Artikel beleuchtet die Faktenlage, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die realen Auswirkungen auf Betroffene. Gleichzeitig ziehen wir den Vergleich zur Situation von Sozialarbeiter:innen, deren Arbeitsbedingungen ebenfalls Ausdruck politischer Prioritätensetzung sind.
1. Der rechtliche Rahmen: Arbeitspflicht per Gesetz
Laut §50 Strafvollzugsgesetz (StVG) besteht für Strafgefangene eine grundsätzliche Arbeitspflicht. Wörtlich heißt es: "Strafgefangene sind zur Arbeit verpflichtet." Der Staat rechtfertigt das mit dem Resozialisierungsauftrag: Arbeit strukturierte den Tag, vermittle Fertigkeiten, stärke das Verantwortungsbewusstsein. In der Theorie mag das sinnvoll klingen. In der Praxis verkommt es zum Vorwand für staatlich verordnete Billigarbeit.
Denn die Arbeitspflicht trifft auf ein System, in dem kaum echte Ausbildung stattfindet, die Entlohnung absichtlich niedrig gehalten wird, kein Anspruch auf Sozialversicherung oder Pensionsversicherung besteht und die wirtschaftliche Verwertbarkeit über allem steht. Damit verletzt der Strafvollzug nicht nur arbeitsrechtliche Grundprinzipien, sondern auch internationale Menschenrechtsstandards, insbesondere die ILO-Konvention über Zwangsarbeit.
2. Die Realität hinter Gittern: Zahlen und Fakten
Ein Bericht des österreichischen Rechnungshofs aus dem Jahr 2024 zeigt: Im Schnitt arbeiteten Häftlinge in österreichischen Justizanstalten lediglich 3,16 Stunden pro Tag. Die Beschäftigungsquote lag 2022 bei nur 60 Prozent. In manchen Anstalten wie Simmering war sie noch geringer. Der Grund: Personalmangel, Überbelegung, geschlossene Werkstätten, fehlende Ausbildungsplätze.
Dabei gibt es zwei Arten von Arbeit im Vollzug:
- Betriebsarbeit : In Werkstätten, Tischlereien, Nähereien, Druckereien etc.
- Hausarbeit : Küche, Reinigung, Wäscherei, Versorgungstätigkeiten innerhalb der Anstalt
Dazu kommen sogenannte Unternehmerbetriebe, in denen Firmen ihre Produktion ins Gefängnis verlagern und von den Niedrigkosten profitieren.
3. Entlohnung: Ein Hohn auf jedes Arbeitsrecht
Was verdienen Gefangene für ihre Arbeit? Laut Auskunft der Justiz liegen die Stundenlöhne für Hilfsarbeiten im Schnitt bei 1,50 Euro netto. Vorarbeiter erhalten mit Glück rund 8,50 Euro brutto, wovon ein Großteil einbehalten wird. Der sogenannte Vollzugskostenbeitrag verschlingt bis zu 75 Prozent des Bruttolohns.
Beispielrechnung:
- Brutto: 8,59 Euro (z. B. als Vorarbeiter)
- Einbehalt: bis zu 75 %
- Nettoauszahlung: ca. 2,15 Euro/Stunde
Von diesem Betrag müssen Häftlinge Einkauf, Telefonate, Postsendungen, Hygieneartikel und in manchen Anstalten sogar Arztgebühren finanzieren. Ein fairer Lohn? Undenkbar. Sozialversicherung? Fehlanzeige. Pensionszeiten? Nicht anrechenbar. Urlaubsanspruch? Existiert nicht.
4. Arbeit ohne Rechte: Kein Kollektivvertrag, keine Mitbestimmung
Die Gefangenen sind rechtlich keine Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts. Das bedeutet: Kein Betriebsrat, kein Arbeitsinspektorat, keine arbeitsrechtliche Klage gegen Ausbeutung, keine kollektivvertraglich garantierten Mindeststandards. Die Justiz organisiert das Arbeitsregime weitgehend autark, ohne unabhängige Kontrolle. Beschwerden verlaufen oft ins Leere.
Der Staat nimmt sich damit heraus, unter Ausschluss der öffentlichen Arbeitsmarktstandards ein paralleles Billiglohnregime zu betreiben. Gleichzeitig werden außenstehende Unternehmen eingeladen, daran zu partizipieren. Gefängnisse als Billigstandort. Menschen als verlässliche, entrechtete Ressource.
5. Kein Bildungssystem, keine Resozialisierung
Zwar existieren in vielen Anstalten theoretisch Ausbildungsplätze. Doch realistisch gesehen ist die Chance auf einen Lehrabschluss, eine Berufsausbildung oder gar ein Studium für die meisten Gefangenen gering. Häufige Hindernisse:
- Mangel an Personal (Lehrende, Betreuung)
- Sprachliche Barrieren (besonders bei ausländischen Häftlingen)
- Knappe Plätze, lange Wartelisten
- Fehlende digitale Infrastruktur
- Keine ganztägige Strukturierung
Ein Resozialisierungsversuch ohne echte Bildung ist jedoch kaum mehr als symbolisch. Arbeit allein genügt nicht. Wer keinen Beruf hat, bleibt auch nach der Haft außen vor der Tür. Und genau dort beginnt die Rückfallspirale.
6. Der Vergleich: Was verdienen Sozialarbeiter:innen in Österreich?
Auch in der freien Gesellschaft wird Arbeit im sozialen Bereich strukturell abgewertet. Sozialarbeiter:innen im Strafvollzug verdienen trotz hoher Verantwortung oft unter dem Kollektivvertrag. Laut verschiedenen Medienberichten liegt das Monatsbruttogehalt teils bei unter 2.600 Euro für eine Vollzeitstelle. Zum Vergleich: Der Mindestlohn im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft liegt bei über 2.800 Euro.
Der Staat spart nicht nur an Gefangenen, sondern auch an denjenigen, die für Resozialisierung verantwortlich sind. Wer im Strafvollzug arbeitet, trägt eine der schwierigsten Aufgaben im sozialen Bereich. Und wird trotzdem unterbezahlt, überlastet und kaum politisch berücksichtigt.
7. Fazit: Zwangsarbeit im Schatten des Rechtsstaats
Wenn Menschen zur Arbeit gezwungen werden, ohne Schutz, ohne fairen Lohn, ohne Rechte – dann nennt man das in internationalen Konventionen "Zwangsarbeit". Genau das geschieht tagtäglich in österreichischen Justizanstalten. Und es geschieht mit voller rechtlicher Absicherung, politischer Duldung und öffentlicher Ignoranz.
Das ist nicht Resozialisierung. Das ist moderne Ausbeutung unter dem Deckmantel der Ordnung. Und es ist ein Versagen des Rechtsstaats, wenn der Staat selbst seine Grundprinzipien im Umgang mit den Schwächsten unterläuft.
8. Was sich ändern muss: Klare Forderungen
- Faire Bezahlung für Häftlingsarbeit (an Kollektivverträge angelehnt)
- Anerkennung von Pensionszeiten für geleistete Arbeit
- Zugang zu Sozialversicherung und Unfallversicherung
- Recht auf Bildung statt Pflicht zur Ausbeutung
- Unabhängige Kontrollinstanz für Arbeitsbedingungen im Strafvollzug
- Anhebung der Löhne im Sozialbereich , vor allem im Vollzug
Nur so kann Resozialisierung mehr sein als ein politisches Schlagwort.










