Albtraum §21 StGB

presse • 27. Oktober 2025

 

Der rechtsstaatliche Albtraum - §21 StGB

In der Falle des Systems: Wie Österreichs Maßnahmenvollzug Menschen für immer wegsperrt

Wenn Gutachten kopiert werden, Therapieplätze fehlen und jedes Wort zum Gefängnis wird – Das System der Maßnahme als rechtsstaatlicher Albtraum. Ein kurzer Überblick über die "Maßnahme" im österreichischen Strafvollzug nach Bewertung von mehr als 100 Fällen über die letzten 12 Monate hinweg.

Einleitung: Die zweite Strafe

Die Verurteilung ist nur der Anfang. Hinter den Mauern österreichischer Justizanstalten existiert ein paralleles Justizsystem, das nicht in Gesetzbüchern steht, sondern in Aktenordnern, Gutachten und therapeutischen Beurteilungen geführt wird. Der Maßnahmenvollzug – eigentlich dazu gedacht, gefährliche Straftäter zu therapieren und zu resozialisieren – hat sich zu einem System entwickelt, das Menschen nicht befreit, sondern für immer gefangen hält. Dies ist die Geschichte einer Justiz, die ihr eigenes Urteil für nicht ausreichend hält und sich anmaßt, Menschen nach beliebiger Maßgabe weiter einzusperren.

Kapitel 1: Der Personalmangel als Systemgrundlage

1.1 Die leeren Stühle der Therapeuten

Während der Gesetzgeber Therapie und Resozialisation vorschreibt, sorgt der chronische Personalmangel bei Psychologen und Therapeuten dafür, dass diese Vorgaben systematisch nicht erfüllt werden können. Maßnahmenpatienten warten Monate auf Gruppentherapien, Jahre auf Einzelgespräche. Doch dieser Mangel ist kein Zufall – er ist die Grundlage eines Systems, das Behandlung nur simuliert.

1.2 Die Überforderung als Regelzustand

Die wenigen verbliebenen Therapeuten sind derart überlastet, dass qualitative Arbeit unmöglich wird. Statt intensiver Therapie gibt es Massenabfertigung. Statt individueller Betreuung Standardfragebögen. Das System lebt von der Überforderung seiner eigenen Mitarbeiter.

Kapitel 2: Isolation als Dauerzustand

2.1 Die doppelte Haftzeit als Normalfall

Maßnahmenpatienten sitzen häufig mindestens doppelt so lange wie ihre ursprüngliche Strafe vorsah. Was als Therapie getarnt ist, entpuppt sich als zusätzliche Strafe – verhängt nicht von Richtern, sondern von Gutachtern und Anstaltsleitungen.

2.2 Der psychische Abbau durch Isolation

Die langjährige Isolation zerstört systematisch die psychische Gesundheit. Soziale Kompetenzen verkümmern, Persönlichkeitsstrukturen brechen zusammen. Das System produziert genau die psychischen Defizite, die es später als Begründung für weitere Haft heranzieht.

Kapitel 3: Das Gutachter-Karussell

3.1 Das Kopieren von Vor-Gutachten

Eine erschütternde Praxis hat sich etabliert: Gutachter übernehmen Textbausteine und Bewertungen aus Jahren alten Vor-Gutachten, ohne eigene gründliche Untersuchungen durchzuführen. Aus "er gilt weiterhin als gefährlich" wird "er gilt weiterhin als gefährlich" – Jahr für Jahr.

3.2 Der Kollegen-Druck

Gutachter scheuen davor zurück, die Meinung von Kollegen zu widersprechen. Ein einmal etikettierter "gefährlicher Patient" bleibt es – unabhängig von tatsächlicher Entwicklung oder Therapiefortschritt.

Kapitel 4: Die Anstalt als Richter

4.1 Ignorieren gerichtlicher Vorgaben

Justizanstalten maßen sich an, gerichtliche Auflagen und gutachterliche Empfehlungen nach eigenem Gutdünken zu interpretieren oder schlicht zu ignorieren. Das Faustrecht der Bürokratie ersetzt rechtsstaatliche Verfahren.

4.2 Jedes Wort als Falle

"Mir geht es besser" kann als "mangelnde Einsicht" gewertet werden. "Ich fühle mich ungerecht behandelt" gilt schnell als "Aggressivität". Jede Äußerung, jede Mimik, jede Reaktion wird protokolliert und kann – oft Jahre später – als Begründung für Verlängerungen der Maßnahme herangezogen werden.

Kapitel 5: Die systematische Zerstörung von Hoffnung

5.1 Psychische Folter durch Perspektivlosigkeit

Wenn jeder Therapieerfolg negiert, jede positive Entwicklung in Frage gestellt und jede Hoffnung systematisch zerstört wird, wird die Haft zur psychischen Folter. Anstalten entwickeln perfide Mechanismen, um Maßnahmenpatienten ihre Aussichtslosigkeit täglich vor Augen zu führen.

5.2 Die Toten des Systems

Diese Praxis hat Tote gefordert. Insassen, die nach Jahren der Perspektivlosigkeit und systematischen Demütigung keinen anderen Ausweg mehr sahen als den Suizid. Ihre Todesfälle sind keine Einzelschicksale – sie sind die logische Konsequenz eines Systems, das Menschen ihre Würde und jede Hoffnung nimmt.

[Anna R. Mutter eines Maßnahmenpatienten] "Er hat mir in unserem letzten Gespräch gesagt: 'Sie wollen nicht, dass ich gesund werde. Sie wollen beweisen, dass ich krank bleibe.' Drei Wochen später war er tot. Die Anstalt sprach von 'plötzlichen persönlichen Problemen'. Dabei waren es Jahre der systematischen Hoffnungslosigkeit."

Kapitel 6: Die Rechtsstaatlichkeit als Fassade

6.1 Willkür statt Recht

Was als wissenschaftlich fundiertes, rechtsstaatliches Verfahren daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als System willkürlicher Entscheidungen, persönlicher Animositäten und institutioneller Deckelung.

6.2 Die Unantastbarkeit des Systems

Richter verlassen sich auf Gutachten, Gutachter auf Vor-Gutachten, Anstalten auf interne Protokolle. Das System ist nahezu unangreifbar, weil jede Instanz sich auf die andere berufen kann.

Forderungen

  1. Maximale Haftdauer für Maßnahmen : Eine absolute Obergrenze von maximal 150% der ursprünglichen Strafe.
  2. Unabhängige Kontrollinstanz : Eine von den Justizanstalten unabhängige Stelle zur Überprüfung aller Maßnahmenverlängerungen.
  3. Transparente Gutachten : Verpflichtende Neu-Begutachtung in jedem Verfahren, Offenlegung aller Gutachten gegenüber Verteidigung.
  4. Konsequenzen bei Rechtsverstößen : Persönliche Haftung von Anstaltsleitungen bei Missachtung gerichtlicher Auflagen.
  5. Therapie-Pflicht statt Haft-Praxis : Umwidmung der Mittel von Verwahrung zu tatsächlicher Therapie.

Fazit: Die Maßnahme als Menschenexperiment

Der österreichische Maßnahmenvollzug ist zu einem rechtsstaatlichen Albtraum geworden. Er ist ein System, das sich selbst legitimiert, sich selbst kontrolliert und sich selbst perpetuiert – auf Kosten von Menschenleben, Grundrechten und jeglicher Gerechtigkeit.

Wir müssen uns fragen: Wollen wir wirklich ein System, das Menschen nicht nach ihrer Schuld, sondern nach willkürlichen Kriterien für immer wegsperrt? Das Gutachten für wichtiger erachtet als Urteile? Das Therapeuten zu Bürokraten der Hoffnungslosigkeit macht?

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Auch die des Maßnahmenpatienten. Auch nach der Verurteilung. Auch nach Jahren der Haft. Es ist Zeit, dieses System nicht zu reformieren, sondern grundlegend zu demontieren.

(is)

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