Österreichs neues Informationsfreiheitsgesetz und der Strafvollzug – Fallbeispiel Graz-Karlau
Einleitung
Am 1. September 2025 ist in Österreich das neue Informationsfreiheitsgesetz (IFG) in Kraft getreten. Mit diesem Schritt wird das jahrzehntelang bestehende Amtsgeheimnis endgültig abgeschafft. Damit haben Bürgerinnen und Bürger nun ein rechtlich verbrieftes Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen (Bundeskanzleramt, 2025 [1]). Für den öffentlichen Sektor bedeutet das eine grundlegende Kulturänderung: Transparenz wird vom Ausnahmetatbestand zum Regelfall. Betroffen sind nicht nur klassische Verwaltungsbehörden, sondern auch Einrichtungen des Justizvollzugs, also Gefängnisse wie die Justizanstalt Graz-Karlau (BMJ, 2025 [2]).
Das IFG verpflichtet Behörden dazu, Informationen proaktiv zu veröffentlichen und Anfragen innerhalb von vier Wochen zu beantworten. Gleichzeitig sieht es Schutzmechanismen für Sicherheit, laufende Verfahren und personenbezogene Daten vor (Datenschutzbehörde, 2025 [3]). Genau hier wird es im Bereich Strafvollzug spannend: Wie offen darf und soll ein Gefängnis wie die Karlau sein? Welche Daten sind zulässig, welche bleiben tabu? Dieser Artikel analysiert das neue Gesetz im Hinblick auf den Strafvollzug und nimmt die Karlau als konkretes Beispiel unter die Lupe.
1. Historischer Hintergrund des Informationsfreiheitsgesetzes
1.1. Österreich im internationalen Vergleich
Österreich galt jahrzehntelang als „Schlusslicht der Transparenz“ in Europa. Während skandinavische Staaten seit Jahrzehnten umfassende Informationsfreiheitsrechte kannten (Access Info Europe, 2023 [4]), hielt man in Österreich am Amtsgeheimnis fest. In internationalen Rankings landete das Land regelmäßig auf den hinteren Plätzen (Transparency International, 2022 [5]). NGOs kritisierten dies als Standortnachteil für Demokratie und Wirtschaft.
1.2. Politische Debatten
Seit den frühen 2000er Jahren gab es wiederholt Initiativen zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Bürgerinitiativen, Journalist:innen und Wissenschaftler:innen forderten mehr Transparenz. Lange scheiterten Gesetzesvorschläge an parteipolitischen Blockaden. Erst die Regierungskonstellationen ab 2020 brachten Bewegung in die Debatte. 2023 wurde schließlich das Informationsfreiheitsgesetz beschlossen (Parlament Österreich, 2023 [6]).
1.3. Kerninhalte des Gesetzes
- Abschaffung des Amtsgeheimnisses (Art. 20 B-VG neu gefasst).
- Einführung eines Grundrechts auf Informationszugang.
- Einrichtung eines zentralen Informationsregisters ( data.gv.at , Bundeskanzleramt, 2025 [1]).
- Schaffung klarer Fristen und Rechtsschutzmöglichkeiten für Bürger.
1.4. Anpassungsgesetze
Parallel zum IFG wurden zahlreiche Materiengesetze angepasst. Im Bereich der Justiz wurde das „IFG-Anpassungsgesetz Justiz“ beschlossen, das Verweise auf die Amtsverschwiegenheit im Strafgesetzbuch, in der Strafprozessordnung und in Vollzugsgesetzen bereinigt und auf die neuen Schrankenregelungen verweist (Parlament Österreich, 2025 [7]).
2. Rechtsrahmen & Pflichten im Strafvollzug
2.1. Grundprinzipien
Das IFG gilt für alle Organe des Bundes, der Länder, Gemeinden sowie ausgegliederte Rechtsträger. Justizanstalten sind somit eindeutig umfasst. Das bedeutet, dass künftig Anfragen von Bürger:innen, NGOs oder Journalist:innen beantwortet werden müssen, solange keine gesetzlich definierten Ausnahmen greifen (BMJ, 2025 [2]).
2.2. Fristen und Verfahren
- 4 Wochen Frist: Antworten müssen grundsätzlich innerhalb von vier Wochen erfolgen.
- Verlängerung: Bei komplexen Fällen ist eine Verlängerung auf acht Wochen möglich, muss aber begründet werden.
- Rechtsmittel: Gegen eine Ablehnung kann Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden (Datenschutzbehörde, 2025 [3]).
2.3. Proaktive Veröffentlichung
Neben der Beantwortung individueller Anfragen müssen Behörden Informationen von allgemeinem Interesse aktiv veröffentlichen. Dazu zählen Jahresberichte, Budgetzahlen, Organisationsstrukturen und statistische Auswertungen. Für den Strafvollzug bedeutet das: Es wird künftig ein Mindestmaß an offiziellen Daten zu Belegung, Kosten oder Projekten online abrufbar sein ( data.gv.at , 2025 [8]).
2.4. Schranken und Ausnahmen
Das Gesetz definiert klare Grenzen:
- Sicherheit der Anstalt: Baupläne, Alarmkonzepte oder Details zu Überwachungstechnik dürfen nicht offengelegt werden (BMJ, 2025 [2]).
- Strafverfahren: Informationen, die laufende Ermittlungen oder Verfahren betreffen, sind ausgeschlossen.
- Personenbezogene Daten: Daten zu Insassen oder Bediensteten unterliegen dem Datenschutz (DSB, 2025 [3]).
- Geschäftsgeheimnisse: Verträge mit Dienstleistern oder Firmen können teilweise geschützt sein.
3. Die Justizanstalt Graz-Karlau im Überblick
3.1. Historische Entwicklung
Die Karlau hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Ursprünglich im 16. Jahrhundert als Schloss errichtet, wurde sie im 19. Jahrhundert zur Strafanstalt umgebaut. Heute zählt sie zu den größten Gefängnissen Österreichs und ist ein Symbol für den modernen Strafvollzug in der Steiermark (Wikipedia, 2025 [9]).
3.2. Kapazität und Insassenstruktur
- Kapazität: Rund 550–560 Plätze, während Umbau reduziert auf ca. 510.
- Zuständigkeit: Freiheitsstrafen über 18 Monate sowie lebenslange Haftstrafen.
- Insassen: Heterogen, viele Nationalitäten, hohe Diversität der Delikte.
3.3. Umbau 2023–2025
Der laufende Umbau ist das größte Projekt in der Geschichte der Anstalt.
- Kosten: Ursprünglich ca. 25 Mio. €, zuletzt 30–33 Mio. € (ORF, 2024 [10]).
- Maßnahmen: Einzelzellen statt Mehrbett, größere Fenster, Dusche in der Zelle.
- Ziele: Verbesserung der Lebensqualität, Verringerung von Konflikten, Förderung der Resozialisierung.
3.4. Alltag im Vollzug
- Arbeit: Werkstätten für Holz, Metall, Küche, Garten.
- Ausbildung: Berufsschule im Haus, Möglichkeit für Lehrabschlüsse in Handwerksberufen (Journal Graz, 2024 [11]).
- Freizeit: Sportplätze, Bibliothek, Kapelle.
- Kultur: Theaterprojekte, Ausstellungen, Kooperationen mit externen Künstler:innen (Die Presse, 2024 [12]).
3.5. Führung und Personal
- Leitung: Anstaltsleiter Gerhard Derler (seit 2023), setzt auf moderne Führung und Kommunikation (Journal Graz, 2023 [13]).
- Personal: Justizwache, Psychologen, Sozialarbeiter. Belastung durch Überbelegung und steigende Anforderungen hoch.
4. Transparenzstatus bisher
Vor Inkrafttreten des IFG war die Informationslage zur Karlau lückenhaft und stark von Medien abhängig. Die meisten verfügbaren Daten stammen aus:
- ORF-Reportagen über den Umbau und die psychologische Wirkung neuer Zellen (ORF, 2024 [10]).
- DerStandard-Artikel über Alltag und Resozialisierung (DerStandard, 2023 [14]).
- Journal Graz über Berufsausbildung (Journal Graz, 2024 [11]).
- Theaterprojekte und Kulturinitiativen, die über Medien sichtbar wurden (Die Presse, 2024 [12]).
Eine systematische Veröffentlichung amtlicher Daten durch die Justizanstalt selbst gab es kaum. Hier setzt das IFG an und verpflichtet zu einem Paradigmenwechsel (BMJ, 2025 [2]).
5. IFG-Potenzial – Welche Daten könnten künftig einsehbar sein?
5.1. Beispiele zulässiger Informationen
- Budget & Baukosten: Detaillierte Aufschlüsselungen der Umbaukosten.
- Statistiken: Belegungszahlen, Ausbildungsbeteiligungen, Anzahl an Zwischenfällen (anonymisiert).
- Kooperationsprojekte: Verträge mit externen Bildungseinrichtungen oder Kulturinitiativen.
- Berichte: Jahresberichte zur Tätigkeit der Anstalt.
5.2. Beispiele unzulässiger Informationen
- Sicherheitskonzepte: Details zu Alarmanlagen, Kameras, Schlüsselmanagement.
- Personenbezogene Daten: Listen von Insassen, Krankengeschichten, Disziplinarakten.
- Laufende Ermittlungen: Informationen zu aktuellen Strafverfahren.
6. Vergleich mit anderen Ländern
Ein Blick nach Schweden oder Großbritannien zeigt, dass Transparenz im Strafvollzug möglich ist. Dort sind Jahresberichte mit Zahlen zu Belegung, Kosten, Vorfällen und Resozialisierungserfolgen öffentlich zugänglich (Access Info Europe, 2023 [4]). Österreich zieht mit dem IFG nach, bleibt jedoch vorsichtiger bei sensiblen Informationen. Im internationalen Vergleich ist Österreich nun nicht mehr Schlusslicht, bewegt sich aber im Mittelfeld.
7. Praxis: So stellt man eine IFG-Anfrage an eine Justizanstalt
7.1. Formale Schritte
- Schriftliche Anfrage per E-Mail oder Post an die Anstaltsleitung.
- Bezug auf das Informationsfreiheitsgesetz (Parlament Österreich, 2023 [6]).
- Genaue Formulierung des Informationsgegenstands.
- Wunsch nach elektronischer Übermittlung.
7.2. Beispiele
- „Bitte senden Sie mir die Belegungsstatistik der Jahre 2020–2024 in anonymisierter Form.“
- „Bitte übermitteln Sie den aktuellen Bauzeitplan des Umbaus mit Angabe der Kostenentwicklung.“
7.3. Tipps
- Möglichst konkret formulieren.
- Keine personenbezogenen Daten anfordern.
- Fristen im Auge behalten und bei Überschreitung nachhaken (Datenschutzbehörde, 2025 [3]).
8. Herausforderungen & Risiken
8.1. Arbeitsaufwand
Das IFG führt zu einem erheblichen Mehraufwand für die Verwaltung. Auch die Karlau wird eigene Strukturen für die Bearbeitung von Anfragen schaffen müssen (BMJ, 2025 [2]).
8.2. Datenschutz
Die Abgrenzung zwischen zulässigen und unzulässigen Informationen ist komplex. Fehler können zu Datenschutzverletzungen führen (DSB, 2025 [3]).
8.3. Infrastruktur
Viele Justizanstalten verfügen noch nicht über die nötige IT-Infrastruktur für proaktive Veröffentlichungen. Der Aufbau wird Zeit und Geld kosten.
8.4. Erwartungsmanagement
Bürger:innen erwarten schnelle und umfassende Auskünfte. Behörden müssen jedoch prüfen, ob Sicherheits- oder Datenschutzgründe dagegensprechen. Konflikte sind absehbar.
9. Fazit & Ausblick
Das neue Informationsfreiheitsgesetz markiert einen historischen Wendepunkt. Für den Strafvollzug bedeutet es einen Schritt in Richtung Transparenz, ohne dabei die Sicherheit zu vernachlässigen. Am Beispiel der Karlau zeigt sich, welche Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind.
Die Anstalt wird künftig mehr Daten offenlegen müssen – von Baukosten über Ausbildungszahlen bis hin zu anonymisierten Statistiken. Gleichzeitig bleibt klar: Die Sicherheit der Anstalt und der Schutz personenbezogener Daten haben Vorrang.
Für die Gesellschaft bedeutet das IFG mehr Kontrolle und Mitsprachemöglichkeiten. Für die Justiz eröffnet es die Chance, durch Transparenz Vertrauen zurückzugewinnen. Die Karlau könnte damit zu einem Pilotprojekt werden, wie ein moderner Strafvollzug im Zeitalter der Informationsfreiheit aussieht.
Quellen
- Bundeskanzleramt Österreich, 2025
- Bundesministerium für Justiz, 2025
- Datenschutzbehörde, 2025
- Access Info Europe, 2023
- Transparency International, 2022
- Parlament Österreich, 2023
- ORF, 2024
- Journal Graz, 2024
- Die Presse, 2024
- Wikipedia, 2025










