Bürokratie verdrängt Menschlichkeit
Wenn Bürokratie in Österreich die Menschlichkeit verdrängt.
Ein dokumentierter Fall aus Graz.
Im Juni 2025 fand in Graz, direkt neben der Justizanstalt Karlau, eine kleine Veranstaltung unter dem Titel „Anti-Knast-Tag“ statt. Der Veranstalter – ein Mann über fünfzig, zu 90 % behindert, haftuntauglich laut Gerichtsbeschluss – hatte diese Versammlung ordnungsgemäß bei der Polizei angezeigt. Eine E-Mail mit dem genauen Datum, Uhrzeit und dem Betreff der Veranstaltung wurde am 21. Mai 2025 um 15:07 Uhr an die offizielle Adresse der Landespolizeidirektion Steiermark gesendet.
Die Veranstaltung verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Bereits vor Beginn
war eine Polizeistreife vor Ort. Zwei Beamte sprachen den Mann gezielt an – mit der Frage:
„Sind Sie der Veranstalter?“
Auch der Einsatzleiter führte vor Ort Gespräche mit ihm und mehreren Teilnehmer:innen. Es gab zu keinem Zeitpunkt Anzeichen dafür, dass die Polizei von der Veranstaltung überrascht worden wäre.
Einige Tage später erhielt der Mann jedoch einen Strafbescheid
– wegen „nicht angezeigter Versammlung“. Er legte Einspruch ein, legte Kopien der Mail vor, reagierte fristgerecht auf die Aufforderung zur Begründung – und erhielt schließlich die Mitteilung, die Einspruchsfrist sei verstrichen.
Nach mehreren weiteren Schriftstücken, die schließlich eingeschrieben eingereicht wurden, landete der Fall vor dem Landesverwaltungsgericht
.
Dort heißt es in der Begründung wörtlich:
„Der Beschwerdeführer legte eine Kopie des Mails vom 21.05.2025, 15:07 Uhr, vor, welches an die korrekte E-Mailadresse der Behörde gesendet wurde. Die Erhebungen der Behörde haben ergeben, dass dieses E-Mail nicht eingelangt ist.“
Gleichzeitig wird im selben Akt bestätigt, dass die Polizei am Veranstaltungstag vor Ort war – exakt zu dem Zweck, den Veranstalter zu kontrollieren.
Der Mann lebt unter dem Existenzminimum, hat schwere gesundheitliche Einschränkungen (u. a. Niereninsuffizienz, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen). Trotzdem wurde die Strafe – wenn auch reduziert – aufrechterhalten:
90 Euro oder fünf Tage Ersatzfreiheitsstrafe.
Ein Einzelfall – oder ein Systemproblem?
Dieser Fall wirft Fragen auf, die über eine einzelne Fehlentscheidung hinausgehen.
Was passiert, wenn Behörden Fehler machen, diese aber durch Formalismen zementiert werden?
Was bedeutet Rechtsstaatlichkeit, wenn ein behinderter Mensch wegen 90 Euro potentiell im Gefängnis landet – für eine Veranstaltung, von der die Polizei offenkundig wusste?
Unsere Organisation beobachtet den Fall weiter.
Nicht, weil es um eine einzelne Geldstrafe geht – sondern weil hier sichtbar wird, wie leicht Menschen im System zwischen Akten und Verantwortung verloren gehen.










